Corona sei Dank im Aladağlar Nationalpark
Nach einer Woche in Kappadokien wollen wir am nächsten Tag weiter fahren in den Nordosten der Türkei und auf dem Weg nach Georgien noch ein paar Tage im Kaçkar-Gebirge verbringen. Da erfahren wir, dass Georgien, das eigentlich am 1. Juli die Grenzen für internationale Touristen öffnen wollte, spontan entschieden hat, die Grenzöffnung um einen Monat auf den 1. August zu verschieben. Ärgerlich. Wir waren bewusst zügig in Richtung Georgien gefahren, damit wir möglichst bald nach der Grenzöffnung in den georgischen Bergen sein können, bevor es dort empfindlich frisch wird. Dafür wollten wir uns auf dem Rückweg Zeit lassen für die schönen Orte und interessanten Gegenden, die wir nun schon links und rechts liegen gelassen hatten. Wir stöbern also im Reiseführer, wo wir die nun verbleibenden fünf Wochen in der Türkei gut und schön verbringen könnten, ohne weite Wege zurückzufahren. Der Lykkische Weg mit dem Rad scheint zunächst eine tolle Option. Im Kontakt mit dem Autor eines Rad-Reiseführers für die Türkei erfahren wir jedoch, dass es dort um diese Jahreszeit zu heiß ist. Das wäre was für den Herbst/Winter auf unserer Rückreise. So stoßen wir auf den Aladağlar Nationalpark im Taurusgebirge. Im Reiseführer recht kurz erwähnt, aber vielversprechend klingend. Vor allem zu dieser heißen Jahreszeit. Und nur knapp zwei Stunden entfernt. Wir machen uns auf den Weg…
Schon auf dem Weg ergibt sich ein schönes, kleines Vorbotenereignis: Ich fahre und will links abbiegen. Da hält der uns entgegenkommende Wagen auf der Gegenspur neben uns an. Drei Männer in Bauarbeiter-Arbeitsklamotten lächeln uns an und der Fahrer reicht mir frisches Obst herüber. Das passiert in Sekundenschnelle mitten auf der Straße zwischen den Fahrerfenstern. Wir freuen uns ganz überrumpelt über diese gastfreundliche Geste. Ich stelle mir das gleiche Szenario andersherum in Deutschland vor: Uns kommt ein Kastenwagen mit türkischem Kennzeichen entgegen, der abbiegen will. Wir kommen mitten auf der Straße zum Halten, um den Fremden einen Teil unseres Proviantes herüberzureichen und anschließend weiter zu fahren. Wie schade, dass es so unwirklich, fast absurd wirkt. Gerade jetzt, wo ich es frisch im Gefühl habe, wie schön und bereichernd so eine kurze Sequenz der Gastfreundschaft, des willkommen heißens für das Gegenüber ist.
Der Campingplatz aus dem Reiseführer, den wir angesteuert haben, auch um mehr Informationen über mögliche Touren in der Gegend zu bekommen, ist wenig hilfreich. Eine junge Mitarbeiterin erklärt uns, dass wir mit Wuddi nicht auf den Platz zwischen Obstbäumen fahren dürfen und dass die Gebirge-kundigen Besitzer nicht da sind. Wir könnten die Straße weiter hoch in die Berge nehmen, sie würde dann zur Schotterpiste und am Ende gäbe es eine Gelegenheit für uns zu stehen. Unsicher holpern wir die Straße weiter, wählen bei einer Weggabelung auf gut Glück rechts und landen nach einigen Kilometern beim Eingang in den Nationalpark, der zugleich ein kleiner Zeltplatz ist. Wunderschön und geschützt gelegen mit Blick auf hohe, teils noch schneebedeckte Berge. Kaum haben wir Wuddi geparkt, kommt schon unser türkischer Campnachbar vorbei und fragt uns auf Englisch, ob er uns auf einen Kaffee einladen könne. Na klar! Wir sitzen unter einem großen Wind- und Sonnensegel und unterhalten uns mit Ercan. Zusammen mit zwei Partnern führt er montis trips und expeditions, ein Reise-/Mountaineering-Unternehmen mit Sitz in Ankara, und für diesen Corona-Sommer haben sie ein Basiscamp hier im Aladağlar Nationalpark errichtet. Normalerweise wären sie mit Reisegruppen an verschiedenen Orten der Welt unterwegs, jetzt starten sie ihre Touren von hier. Gipfel gibt es genug: über 30 sind über 3000m hoch. Spannend denken wir und fragen nach möglichen Touren für die nächsten Tage. Ercan antwortet, er und sein Kollege Gökhan, der später anreist, versorgen uns gerne mit Info. Jetzt sei aber erstmal Ankommen und Genießen dran. Recht hat er!
Später versorgt uns Gokhan mit Informationen zu den Bergen und möglichen Touren. Davon werden wir in den kommenden Tagen einige machen. Zum Teil alleine, zum Teil zusammen mit Gokhan. Besonders beeindruckend ist die Gipfelbesteigung des Berges Emler mit 3720m.
Andere schöne Wanderungen gehen zu einem See, durch einen Canyon, vorbei an Schneefeldern und Schäferzelten.
Hier in den Bergen verbringen Hirten mit ihren Schafherden die Sommermonate. Was für ein anderes Leben, als wir es aus der Stadt und unserem Arbeitsalltag kennen. Die Hirten leben in einfachen, größeren Zelten, haben ein Pferd oder Maultier dabei, dass das Gepäck trägt und mehrere Hunde, die die Herde bewachen. Die Hunde (keine typischen Schäferhunde, wie wir sie kennen) tragen große, scharfe Stachelhalsbänder um den Hals, die vor Wolfsbissen schützen. Das ist nötig, denn Wölfe gibt es hier einige. So kommt es auch zur Geschichte des verlorenen Schäfchens: Gegenüber von unserem Stellplatz steht ein Schaf hoch oben in der Felswand und weiß weder herunter noch herauf. Verzweifelt läuft es immer wieder zum Abgrund, dreht sich, versucht irgendwie vom Fleck zu kommen. Gökhan schaut durch´s Fernglas und sieht, dass es am Rücken verletzt ist. Er weiß von einem Hirten, dass vor ein paar Tagen eine Herde von einem Wolf angegriffen wurde. Daraufhin hat sich die Herde getrennt und ein Schaf war verloren gegangen. Gökhan informiert einen Hirten, der gerade unten in der Nähe des Camps ist. Dieser kommt schon bald unter Glockengebimmel mit seiner Herde herbeigezogen. Die Rettung vollzieht sich von selbst. Das verlorene Schaf sieht seine Schafskollegen und määht laut los. Die Herde unten määht zurück. Das Schaf ist jetzt voller Energie, springt aufgeregt umher, guckt runter, hoffentlich fällt es nicht runter… Und irgendwie findet es jetzt – nach vermutlich 1-2 erfolglosen Tagen in der Felswand – ohne direkte menschliche Hilfe den Weg herunter zur Herde. Schafskommunikation! Spannender als ein Krimi!
Unter der Woche ist der Platz recht leer. Ruhe in der Natur. Neben dem montis Basiscamp und uns kommen manchmal noch anatolische Familien aus den umliegenden Dörfern zum Picknicken her. Häufig nach der Feldarbeit auf einem Pick-Up, Oma und Opa im Gepäck. Die Frauen tragen Kopftuch, Männer und Frauen meist eine bequeme Pluderhose, deren Hosenboden an den Knöcheln hängt. Es wird gegessen, Tee getrunken, ein Nickerchen gehalten und manchmal auch gebetet.
An den beiden Wochenenden, die wir dort verbringen, hingegen füllt sich der Platz. Die Türken zieht es nach draußen. Corona-Blues. Auch schön für uns, wir freuen uns über den Kontakt mit unseren Nachbarn. Einen Tag baut ein junger Türke sein Zelt neben uns auf. Mit dem Übersetzungsprogramm auf seinem Handy fragt er uns, ob er uns was von dem Supermarkt mitbringen können. Wir zeigen ihm Joghurt, Schafskäse, Brot, Kaffee. Spät abends kommt er zurück, klopft an unsere Tür und überreicht uns die Lebensmittel. Wir möchten ihm das Geld dafür geben, er lehnt ab, lächelt und sagt guten Appetit. Was für eine Gastfreundschaft zu fremden Campingnachbarn! Und auch in den darauffolgenden Tagen bekommen wir von wechselnden Nachbarn immer wieder Essen geschenkt: Kirschen, Kuchen, Plätzchen, Brot… Auch wir laden zu Kaffee, Grillen und Stockbrot ein.
Auf den gemeinsamen Wanderungen und auf dem Zeltplatz führen wir interessante Gespräche mit Gokhan und Ercan und erfahren einiges über die Türkei, die Gegend und deren Arbeit als Guides. Wer überlegt, die „wilde“, hohe Bergwelt der Türkei zu bereisen, dem können wir montis herzlich empfehlen.
Acht Tage verbringen wir hier und auch an den Tagen, an denen wir auf und um den Platz bleiben, langweilen wir uns keineswegs. Wir hängen die Hängematte auf, die Hendriks Bruder und Schwägerin uns geschenkt haben und genießen den Blick auf das Bergpanorama. Und wir waschpömpeln unsere schmutzigen Klamotten einmal durch. Nachdem wir den Luxus der Waschmaschinen bei Freunden/Familie und auf Campingplätzen erstmal hinter uns gelassen haben…
So sind wir am Ende sehr glücklich darüber, dass wir diesen tollen Ort etwas unfreiwillig entdecken durften. Ich denke an ein häufiges Sprichwort bzw. Sprichfrage meiner Mutter „Wer weiß wofür das gut ist?“. Recht hat sie. Mittlerweile können wir das auf einen Großteil unserer Reise anwenden.
Bevor wir weiterfahren, versorgt uns Ercan noch mit einer kompletten Reiseroute inklusive Kontakten für das Kaçkar-Gebirge und die Weiterfahrt nach Georgien. Besser als jeder Reiseführer!
Hi,Barbara gave me the address of your blog and am now able to follow your wonderful journey.Sometimes it translate to English ,but other times I can just follow by pictures.What a wonderful trip you are having .Nice to see how hospitable the Turks are ,not what I would have expected,just show that you should not prejudge people..
Hope the rest of your trip goes well.
Regards Adrian Rotherham
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Wie kommst du darauf das Georgien seine Grenzen zum 1.8 auf dem Landweg öffnen will?
Wir sind selbst sei. 1,5 Jahren bereits mit dem Fahrrad unterwegs und derzeit im aladaglar national park
Bitte schreib uns doch mal wollen nach Georgien und weiter in den Iran
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Hallo Dani und Melli,
der Post ist vom letzten Jahr. Damals war das die aktuelle Information. Wir wollten auch nach Georgien, hätten aber bei Einreise in ein Quarantäne-Hotel für 2 Wochen gemusst. Die Kosten dafür (ca. 800eu pro Person) hätten wir selbst zahlen müssen. Daher haben wir das nicht gemacht. Wo seid ihr denn im Aladaglar? Da gibt es einen wunderschönen „Campingplatz“ in den Bergen, wo man mit dem Fahrrad und Auto gut hinkommen kann. Leider habe ich ihn auf Anhieb nicht bei Googlemaps gefunden.
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