Deutschland Teil 1

UnverhoffteR Heimaturlaub: Sauerland statt Seidenstraße

Lange hatten wir uns auf unsere Auszeit gefreut. Hendrik hatte in liebevoller und leidenschaftlicher Arbeit über die Wintermonate unser Auto (Wuddi) ausgebaut. Die Reiseroute stand. Unsere Jobs waren gekündigt und unsere Wohnung untervermietet. Dann kam Corona. Zunächst war es wie ein schlechter Traum, die ersten Tage nach den Grenzschließungen mussten wir uns morgens nach dem Aufwachen kneifen: Das kann doch nicht wahr sein, dass gerade jetzt alle Länder zu machen!? Vor allem die Ungewissheit, ob und wenn ja, wann und was sich an dieser verflixten Situation ändern würde, empfanden wir als anstrengend. Richtig angekommen in dieser neuen Realität begegneten wir der allgemeinen Ungewissheit mit unserer Gewissheit: wir werden reisen – und sei es erstmal in Deutschland. Und es wird gut werden. Das tat gut.

In Absprache mit unseren netten Untermietern konnten wir noch bis Ende April in unserer Wohnung bleiben. Dann zogen wir noch für eine Woche zu meinen Eltern bevor wir am 5. Mai mit gepacktem Wuddi auf der Delpstraße standen und zum Abschied meinen Eltern und den Nachbarn Olga und Sergej winkten. Der Abschied fühlte sich anders, unwirklicher, leichter an, wussten wir doch noch gar nicht, für wie lange er am Ende sein würde. Bei einem Zwischenstopp in Telgte winkten uns noch einmal Manuel und Christina mit Familie, Freunde von Hendrik, und wir stellten uns mit Wuddi auf die Waage: 3,52 Tonnen mit vollem Wasser- und Dieseltank. Wuddi war leicht übergewichtig! In den kommenden Wochen in Deutschland hatten und nutzten wir den Luxus, über die Besuche und Wiedersehen mit Freunden noch Dinge loszuwerden, die wir nicht brauchten, sowie nützliche, fehlende Dinge nach zu bestellen.

Unsere erste Station ist im Sauerland neben einer gelb leuchtenden Wiese voller Löwenzahn. Überhaupt eine tolle Jahreszeit, um dort zu sein. Das Grün der Bäume und Wiesen ist noch knackig grün – so wie im Münsterland einige Wochen zuvor. Auf langen Mountainbike-Touren geht es durch Wald, Wiese, Hochheide und idyllische Dörfer. Zwei weitere Nächte verbringen wir auf einer großen wilden Wiese vor der Schützenhalle in Brilon-Scharfenberg. Ein Stellplatz, den wir über die App Park4Night gefunden haben. Diese App sowie die App iOverlander würden uns in Zukunft noch viele weitere schöne und praktische Stellplätze bescheren. Im Sauerland steht schon der erste Besuch von Freunden an – Pitti und Ruth gesellen sich mit Bulli und Wanderausrüstung zu uns. Hendrik und Pitti kennen sich vom Mountainbiken.

Gen Osten in den Harz: Klimawandel sticht Corona

Weiter geht es mit einem Zwischenstopp bei Hendriks Mutter in Neuenbeken und einer Nacht auf einem Bauernhof (über das Buch Landvergnügen) in den Deister. Ein Mittelgebirge vor Hannover mit vielen Trails explizit zum Mountainbiken. Hoch und wieder runter, hoch und wieder runter… Landschaftlich spannender ist da unsere nächste Station, der Harz. Bei der Einfahrt könnte ich heulen: ganze Hänge und Waldflächen mit toten Bäumen. Der Borkenkäfer treibt hier sein Unwesen. Die Auswirkungen des Klimawandels werden auf traurige Weise sichtbar: Durch die Hitze und Trockenheit der letzten Jahre sind die Bäume, vor allem Fichten, so geschwächt, dass sie nicht ausreichend Harz zur Abwehr der Borkenkäfer produzieren können. Wir hatten das Baumsterben schon im Sauerland und Deister gesehen, aber hier übertrifft es alles befürchtete. Ganze Dörfer und Ferienhaus-Siedlungen sind umgeben von totem Wald oder Baum-Schlachtplätzen. Die toten und befallenen Bäume sollen möglichst schnell gefällt und beiseite geräumt werden, damit sich die Plage nicht weiter ausbreitet. Die Förster kommen gar nicht mehr hinterher.

Hier scheint uns weniger Corona, als mehr der Klimawandel ein massives Problem zu sein und werden. Viele Menschen leben hier vom Tourismus, wie durch die Infrastruktur von (nun geschlossenen) Hotels, Ferienhäusern, Gaststätten und Büdchen deutlich wird. Aber wer möchte schon seinen Urlaub umgeben von totem Wald verbringen? Letztendlich bekommt man hier vor Augen geführt, was uns alle angeht. Die weitreichenden Folgen des Klimawandels. Wenn der Klimawandel nur annähernd so eine Präsenz in den Medien, politischen Agenden und Hirnen der Menschen bekäme wie Corona!!

Glücklicherweise ist nicht der ganze Harz gleichermaßen stark betroffen. Wir unternehmen schöne Wander- und Mountainbike-Touren, zu großen Teilen entlang des Flusses Bode, der sich durch die Täler und Wälder schlängelt. Auch dort wo große Parkplätze auf üblicherweise viel Tourismus schließen, ist nichts los und wir können die noch frühlingshafte Natur in Ruhe genießen.

Manche Dörfer im Harz – wie Rübeland – mit den verzierten Holzhäusern, dem kleinen Bahnhof, umgeben von Felsen und Wald, wirken auf uns wie aus einer Modelleisenbahn Landschaft entnommen

Abends wird es noch frisch mit Frost in der Nacht. Wie gut, dass wir eine Standheizung haben, die auch den Boiler für Warmwasser beheizt. So haben wir eine warme Außendusche. Wärmste Empfehlung! In was für schöner Natur mit tollen Aussichten wir noch duschen werden auf unserer Reise. Und so lange das Wasser warm ist, kann es draußen ruhig kalt sein.

Corona ist für uns gedanklich und physisch weit weg. Während wir in Münster noch täglich in Form der Tagesgestaltung, des sozialen Kontakts und des Straßenbildes mit dieser Sondersituation konfrontiert wurden, vergessen wir nun wiederholt beim Tanken oder Einkaufen die Maske aufzusetzen. Gesundheitlich machen wir uns gar keine Sorgen. De facto befinden wir uns ja die meiste Zeit in Selbstisolation: Zu zweit in Wuddi oder Wald.

Sächsische Schweiz: ein Highlight unserer Deutschlandtour

Die Bastei fast allein. Neben uns besuchen noch ein paar Persönchen das Wahrzeichen der Sächsischen Schweiz. So haben wir beim Anblick dieser wundersamen Felsformation ausreichend Ruhe, uns mit unserer Fantasie in die Vergangenheit hineinzuversetzen, in der hier auf den hohen, schmalen Felsen eine Festung gestanden hat. Die Ungestörtheit an touristischen Hotspots sind die Vorzüge dieser Reisezeit. Aber auch ungeachtet dessen gefällt uns die Sächsische Schweiz sehr gut und bietet sich wunderbar an für ausgiebige Mountainbike- und Wandertouren. Auf unserem Stellplatz lernen wir Henrik und Annett (Spitzname Anna :)) kennen. Henrik ist erfahrener Kletterer und Bergführer und spontan unternehmen wir gemeinsam eine Wanderung, die Klettersteige beinhaltet. Da wir nur ein Klettersteig-Set dabei haben, improvisiert Henrik Hendrik spontan mit Seilen einen „sächsischen Klettergurt“ und führt uns entlang einer wunderbaren Tour die Felsen hinauf. Mit der Ruhe und Sicherheit, die er dabei ausstrahlt, weicht fast meine Höhenangst. Klettern hat in Sachsen eine lange Tradition erfahren wir. Übernachtet wurde und wird dabei häufig in Felsvorsprüngen (Boofen). Im Vergleich zu anderen Klettergebieten gibt es recht wenige Sicherungen, um die Natur möglichst wenig zu verändern und zu zerstören. Und die Sicherungen, die es gibt, sind in dem Sandstein nicht immer sicher. Jedes Jahr kommen mehrere Menschen ums Leben, da sie die Sicherungen oder sich selbst überschätzen.

Zufällig treffen wir Henrik und Annett ein paar Tage später an einem anderen Ort wieder. Im Gespräch mit den beiden, die den Großteil ihres Lebens in der DDR verbracht haben, wird mir nochmal besonders deutlich, wie relativ die Corona-bedingten Einschränkungen in Alltag und Bewegung sind. Die beiden, die dem System damals gerne entkommen wären, waren Jahrzehntelang in ihrer Freiheit massiv eingeschränkt. Verwöhnte wir, auch zu diesen Zeiten!

Nun sind wir ein paar Wochen unterwegs und fühlen uns sehr wohl mit dieser Reise- und Lebensweise: viel draußen sein, Sport machen, ein natürlicher Schlaf-Wach-Rhythmus, die gemeinsame Zeit und trotz Corona ein gutes Gefühl von Freiheit und Flexibilität.

Back in Berlin: Wiedersehen mit Freunden

Wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen! Vor knapp zwei Monaten erst voneinander verabschiedet, genießen wir die Tage mit unseren Berliner Freunden Alexes & Miri, Klemens & Veronika, Mario & Sarah, Theresia & Stefan, Linus & Nuna und Ricarda & Bernd sehr. Wir verbringen schöne Abende an Lagerfeuer und Grill und schöne Tage am See. Gleichzeitig merken wir, dass die Großstadt nichts für Wuddi ist. Wir schlafen unruhiger und finden den Verkehr stressig. So übernachten wir gleich zweimal etwas außerhalb: in der Gartenoase von Ricarda und Bernd und am Liepnitzer See nahe des Häuschens von Theresia und Stefan.

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