Am 18.6. überqueren wir die Grenze in die Türkei. Wir hatten von Gesundheitsprüfungen an der Grenze gelesen und wussten nicht, was auf uns zukommen würde. Vorsichtshalber misst Hendrik noch einmal „Fieber“. Nicht, dass er aufgrund einer leicht erhöhten Temperatur ausgesiebt wird. Alles normal, nur ein leichter Männerschnupfen (auch wenn Hendrik überlegt, sich vorsichtshalber schonmal auf eine Intensivstation aufnehmen zu lassen). Wieder passieren wir einen kilometerlangen Stau von LKW und stehen plötzlich an einem kleinen Wärterhäuschen. Der Grenzbeamte nennt uns einen Betrag in türkischer Lira, der anfällt für die „desinfection“, die gleich startet. Nachdem wir, noch Lira-los, in Euro gezahlt haben, werden wir aufgefordert die Fenster zu schließen und schon besprühen die rechts und links von uns stehenden Ventilatoren Wuddi mit Desinfektionsmittel. Wir dürfen weiter und ein nächster Grenzbeamter weist uns an, die Fenster wieder herunterzukurbeln zum Fiebermessen. Mit einigen Zentimeter Abstand hält er eine Fieberthermometerpistole an unsere Stirn. Wir sind fieberfrei und dürfen weiter passieren. Das war´s, die unaufgeregte Corona-Sonderbehandlung an der Grenze ist überstanden. Nachdem wir auch die Stempel in unseren Pässen haben, soll noch jemand einen Blick in Wuddi werfen. Die Kombis vor uns mussten dafür ihren Kofferraum öffnen, wir sollen ein paar Meter weiter zu einem Gebäude fahren. Den zuständigen Beamten müssen wir erst suchen. Er solle darein gucken, fragt er und zeigt auf unser Auto. Ja, so sei es uns gesagt worden… und er wirft einen kurzen Blick herein, um seine Aufgabe erledigt zu haben. Ein bisschen Aufregung gibt es noch wegen der KFZ-Versicherung, die sich dank eines netten Deutschtürken, der für uns übersetzt, aber recht schnell klären lässt.
Wir fahren in die erste größere Stadt nach der Grenze, Edirne, um die wichtigsten Erledigungen zu machen: Geld abheben, Handykarte kaufen, Einkaufen. Der Muezzin ruft von der großen Moschee, einige Frauen sind verschleiert – wir sind da, in der Türkei und der muslimischen Welt, die ich so gerne mag. Abends fahren wir noch weiter, um auf einem Campingplatz an der Küste zu übernachten. Wir sind wieder die einzigen Gäste, der Platz habe erst heute wieder aufgemacht, erfahren wir. Im Dunkeln stellen wir unser Auto zwischen Bäume auf einer Wiese mit Blick auf´s Meer und sind gespannt, wie die Umgebung am nächsten Tag im Hellen aussieht. Am Morgen erwartet uns der Blick auf blau-türkises Wasser, einen Sandstrand und einen Hafen. Wieder eine ganz andere Welt. Hier bekomme ich einen Videoanruf von meinem Bruder und erfahre, dass ich Tante geworden bin. Ich freue mich riesig, bin ganz gerührt und aus der Ferne schon verliebt in meine süße Nichte Lotti (Charlotte Pilar).
Weiter geht´s mit einem weiteren Übernachtungsstopp in Richtung unseres nächsten Ziels, Kappadokien.
Kappadokien
Wir hatten Fotos gesehen und ein bisschen gelesen und konnten es kaum erwarten, diese wundersame Landschaft selbst zu erleben. Wir wollten unbedingt auf unserem „Hinweg“ hin und die Chance nutzen, diesen touristischen Hotspot der Türkei ohne den üblichen Trubel zu erleben.
Das Navi sagt in fünf Minuten sind wir da. Noch befinden wir uns in einer recht kargen Landschaft der Zentraltürkei, durch die wir nun seit Stunden fahren und ich kann mir kaum vorstellen, dass sich da innerhalb von Minuten das auftut, was wir als Bilder in unseren Köpfen abgespeichert haben. Doch plötzlich sind wir da: wir schauen in ein Tal mit Felsen aus weiß-rotem Stein, durchfurcht von Höhlen und durchwachsen mit grünen Feldern und Weinreben.
Wir suchen einen Stellplatz. In der Türkei ist das wild campen zwar offiziell nicht erlaubt, aber inoffiziell geduldet. Auch viele Türken lieben neben dem Picknicken das Campen. Bekannte von uns, die ein Jahr zuvor hier gewesen waren, hatten von einem Stellplatz mit tollem Panorama berichtet und uns die Koordinaten geschickt. Den genauen Platz können wir nicht finden, dafür aber einen anderen traumhaften, ruhigen Stellplatz inmitten Kappadokiens. Wir sind begeistert und verbringen acht Tage und Nächte hier. Der Weg zu unserem Stellplatz ist so verzweigt, dass wir in der gesamten Zeit nur zweimal Besuch von einer Gruppe Kamele und ihrem netten Besitzer bekommen. Wir laden ihn zum Kaffee ein. Wegen Corona haben die Kamele „Urlaub“ und dürfen die ganze Zeit grasen.
Die märchenhafte Landschaft aus fantasievollen Felsformationen und geheimnisvollen Höhlen weckt Entdeckerenergie. Ich fühle mich ein bisschen wie als Kind, wenn ich durch Ruinen gestrolcht bin. Die einzigartige und vielfältige Form der Felsen ist der Tuffasche von vergangenen Vulkanen sowie anschließender, Jahrtausend langer Erosion durch Wind und Wasser zu verdanken. Die Türken sprechen unter anderem von „Feenkaminen“. Durch diese, von kreativer Naturgewalt geschaffene Landschaft, erstreckt sich ein großes Netz aus Höhlenwohnungen, Kirchen und sogar ganzen Städten – von ebenfalls kreativer Menschenhand in das Gestein gehauen.
Die größte, bisher entdeckte, unterirdische Stadt erstreckt sich über acht Stockwerke unter die Erde. Wahnsinn! Mehrere Tausend Menschen sollen dort für mehrere Monate Zuflucht vor Feinden gefunden haben, die über sie hinweg zogen. Ein ausgeklügeltes System aus Schächten sorgte für die Lüftung und Wasserversorgung. Leider können wir die unterirdischen Städte nicht besuchen, die touristischen Indoor-Sehenswürdigkeiten sind wegen Corona noch geschlossen. Dafür klettern wir in manche „wilde“ Höhlen und Kirchen. Auf eine recht gut erhaltene Kirche werden wir von einem jungen Türken auf einer unserer Mountainbike Touren hingewiesen. „Schöne Kirche“ ruft er sobald er mitbekommt, dass wir Deutsche sind. Er hat einen Saftstand mit einer Handpresse und vollen Kisten mit Orangen und Grapefruits vor zwei vollkommen ausgehöhlten Felsen aufgebaut. Davor stehen einige verwaiste Tische und Stühle, ausreichend Platz für große Gruppen. Jetzt sind wir die einzigen Gäste. Während wir uns in der Höhlen-Kirche mit Gemälden an den Wänden und der drei-stöckigen Höhlenwohnung umsehen, presst er uns leckere frische Säfte. Ein paar Tage später entdeckt er uns schon von Weitem auf den Rädern und ruft uns freudig zu, wir sollen wieder einen leckeren Saft bei ihm trinken kommen. Wir fragen ihn, wie die Situation dieses Jahr für ihn ist. Er antwortet, dass dieses Jahr sehr anders sei, sonst würden viel mehr Leute auf ihren Wanderungen durch das Tal vorbeikommen, teils Reisegruppen von 40 Leuten. Aber den Leuten würde mit der Zeit auch langweilig werden Zuhause, so kommen abends häufiger türkische Familien vorbei und in den nächsten zwei Jahren würden vielleicht umso mehr ausländische Touristen kommen. Corona sei gefährlich, aber auch das Motorrad- und Mountainbike fahren sei gefährlich. Er zeigt auf sein altes Motorrad und auf unsere Mountainbikes. Das Leben sei grundsätzlich gefährlich lachen wir. Wie schön, dass viele Leute, die wir treffen und die stark von dem ausbleibenden Tourismus durch die Corona-Krise betroffen sind, dennoch so positive Stimmung und Zuversicht ausstrahlen.
Das sonst touristische Kappadokien teilen wir uns mit inländischen Touristen und Einheimischen, die sich vor allem am Wochenende an wenigen, ausgeschilderten Panoromaplätzen versammeln. Auf unseren Wanderungen und Mountainbike Touren durch die Täler sind wir meist ganz allein. Um ein paar der wundersamen Täler zu nennen:
Da gibt es das Pigeon Valley mit den vielen Taubenverschlägen, die in den Felsen gehauen sind und in denen noch heute viele Tauben leben. Während man in Deutschland die vermeintlichen Plagegeister vielerorts vertreiben oder verdammen möchte, weil sie einem die Autos, Bahnhöfe und Kirchen zuscheißen, war man in Kappadokien gerade der Taubenkacke hinterher, um damit die Felder, insbesondere die Weinreben zu düngen. Vielleicht eine Inspiration für die Hobbygärtner unter euch.
Das Red Valley hat seinen Namen durch die rötliche Färbung des Steins und sieht besonders im Abendlicht toll aus. Und im „Love Valley“ ragen riesige Phallusse aus Fels in den Himmel. Korrekter wäre schlicht „Penis Valley“ gewesen, hätte dann aber vermutlich nicht so viele verliebte Paare zum Sonnenuntergang angelockt.
Und das alles ist weiter in Bewegung und Bearbeitung durch Natur und Menschenhand, wie man durch den vielen feinen Steinstaub, geschrumpfte Höhlen und verschwommene Wege wahrnimmt.
Neben unseren Erkundungstouren am Nachmittag, wenn die große Mittagshitze vorbei ist, finden wir in Kappadokien auch mehr Ruhe zum Lesen und Schreiben, Hendrik übt Gitarre, wir grillen und schauen auf das schöne Panorama, das sich um unseren Stellplatz ausbreitet. Da machen uns auch 1,5 Tage Corona Lockdown nichts aus. An den Unis finden die Aufnahmeprüfungen statt und um die Lage nicht überzustrapazieren, soll der Rest der Bevölkerung zu Hause bleiben.